600km Freiheit

Trotz Parkinson: Altöttinger radelt von Salzburg ans MeerMit 38 Jahren bekam Tony Seidl die Diagnose Parkinson. Jetzt möchte er anderen Betroffenen Mut machen – und zeigen, was trotz der Krankheit noch alles möglich ist. Dafür setzt er sich auf sein Liegefahrrad.

Altötting – Neulich hat sich Tony Seidl mit seiner Familie ins Auto gesetzt. Ziel: das mehr als 400 Kilometer entfernte Verona. Die Seidls tranken einen Kaffee, lernten nette Menschen kennen, gingen einkaufen – und fuhren abends zurück nach Altötting. Tony Seidl mag solche Aktionen, sie lassen ihn spüren, wie wertvoll das Leben ist: „Wenn ich etwas machen möchte, dann muss ich es jetzt machen“, sagt er.

Der 51-Jährige leidet an Parkinson, die Diagnose traf ihn vor 13 Jahren völlig unerwartet. Inzwischen hat er gelernt, der Krankheit zu trotzen. „Ich will beweisen, dass man auch mit der Krankheit noch etwas erreichen kann.“

2016 ist Seidl von Altötting mit dem Liegerad ins italienische Padua gefahren, im Mai startet er eine neue Tour: Mit seiner Frau Christiane und einer Osteopathin möchte er über den Alpe-Adria-Weg von Salzburg aus ans Meer fahren. Es sind 600 Kilometer Strapazen, aber auch 600 Kilometer Freiheit. „Wir lassen uns Zeit “, sagt er, „und wir möchten mit Betroffenen vor Ort Kontakte knüpfen.“

Mit seinen feuerroten Haaren fällt Tony Seidl auf, er ist ein offener Mensch. Ihm ist es wichtig, sich mit anderen Kranken und deren Angehörigen auszutauschen und das Bewusstsein für Parkinson zu stärken. Nach seiner ersten Tour hat er mit einigen Mitstreitern mehrere Gruppen im sozialen Netzwerk Facebook gegründet. Mehrere hundert Betroffene und Angehörige sind inzwischen Mitglied. „Es sollte ein ehrlicher Austausch sein, so etwas gab es bisher nicht“, erklärt er.

Mittlerweile hat sich daraus ein weiteres großes Projekt entwickelt: Viele Erkrankte und Angehörige schreiben Geschichten und Gedichte über ihre Gefühle, ihren Alltag und ihre Träume. Die Gruppe nennt sich „Team Dopamin“, weil es bei der Parkinson-Erkrankung einen Mangel des Botenstoffes Dopamin im Gehirn gibt. Die Werke sind im Internet zu lesen, vor Kurzem ist außerdem ein Buch erschienen, im April folgt ein weiterer Band. „Viele Erkrankte können sich nicht mehr bewegen und nur schlecht sprechen“, sagt Tony Seidl. „Es ist ein Stück Freiheit, wenn sie ihre Geschichte in Worte fassen.“

Auch er kennt das Gefühl, gefangen zu sein, nur zu gut. Die erste Zeit nach der Diagnose kann Tony diese noch verschweigen, Normalität vortäuschen. Doch die Krankheit schreitet unerbittlich voran. Zuerst braucht er einen Gehstock, dann einen Rollator, bald sitzt er im Rollstuhl. Das Reden wird schwieriger, die Worte undeutlicher. Aber: „Ich konnte mich nie damit abfinden, dass es jetzt aus sein soll“, erzählt er. Er kämpft – und bekommt zu seinem 48. Geburtstag ein besonderes Geschenk. Er lässt sich eine Art Hirnschrittmacher implantieren.

Seitdem geht es aufwärts. Tony Seidl kann die Einstellungen des Gerätes selbst verändern. Er führt Tagebuch darüber, wie er sich bei welchen Einstellungen fühlt. Bald gibt es erste Erfolge, das Gehen fällt ihm zwar noch schwer, den Rollstuhl braucht er aber nicht mehr. Zwei Jahre nach der Implantation startete Seidl seine Radtour nach Padua und hat sich schon damals von keinem Rückschlag aufhalten lassen. Einmal endete der Weg an einer Treppe mit einem Schild, dass Radler absteigen müssen. Also kämpfte sich auch er die Stufen hinunter. Schritt für Schritt, ganz langsam. „Zeit ist der wichtigste Faktor bei Parkinson“, sagt er. Am Ende zahlt sich die Geduld immer aus. In Padua überrascht ihn seine Frau Christiane, gerührt fallen sich die beiden in die Arme, halten sich ganz fest. „Das hat sich in mir eingebrannt, das werde ich nie vergessen“, erzählt Tony Seidl.

Im Mai wird das Paar zusammen unterwegs sein – und wieder wird es einige Herausforderungen geben. Doch für Tony Seidl steht fest: „Die Krankheit ist nicht lustig. Aber den Spaß darf man sich trotzdem nie nehmen lassen.“

„Team Dopamin“ heißt das Projekt, bei dem Parkinson-Betroffene ihre Geschichten erzählen. Die Texte gibt es in einem Buch und im Internet unter www.teamdopamin.de

Quelle: https://www.ovb-online.de/bayern/kilo-meter-freiheit-9664937.html

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