Pestizide und Schädigungen des Nervensystems

Zahlreiche Pestizide, insbesondere Insektizide, sind eigens darauf ausgerichtet, die Nervensysteme von Schädlingen anzugreifen. Deshalb können diese Substanzen auch für Nichtzieltiere neurotoxisch sein, darunter (in einigen Fällen) den Menschen und andere Säugetiere (Bjørling­Poulsen et al. 2008). Die Auswirkungen einer signifikanten Pestizidexposition bei Kindern auf die Entwicklung des Nervensystems sind gut dokumentiert. Über den Zusammenhang zwischen Pestiziden und bestimmten neurodegene­rativen Erkrankungen bei Erwachsenen ist weniger bekannt, man geht jedoch davon aus, dass das Auftreten dieser Erkrankungen möglicherweise auf eine Kombination aus Umweltfaktoren und geneti­scher Prädisposition zurückzuführen ist.

Mit grosser Sicherheit stellt das Älterwerden den grössten Risikofaktor dar, doch auch der Pestizidexposition in geringen Dosen über lange Zeiträume wird eine Rolle zugeschrieben. In zukünftigen Forschungen wird das Verstehen der Mechanismen, die dem Zusammenspiel zwischen solchen Umweltfaktoren und genetischen Komponenten zugrunde liegen, ein wichtiges Thema sein (Baltazar et al. 2014).

2.3.1 Parkinson-Krankheit

Die Parkinson­Krankheit ist eine häufig auftretende neurodegenerative Erkrankung, die durch einen Neuronenverlust im Mittelhirn gekennzeichnet ist. In diesem Hirnareal werden bewegungsregulierende Zellen deaktiviert, was dazu führt, dass die betroffene Person unter Zittern und Bewegungsverlangsa­mung, Gleichgewichtsproblemen und manchmal auch Verhaltensänderungen leidet (Chhillar et al. 2013). Die Ursachen der Parkinson­Krankheit sind komplex – sie steht mit Älterwerden, Geschlecht und genetischen Faktoren in Zusammenhang, die durch Umweltfaktoren wie Pestizidexpositionen überlagert werden (Wang et al. 2014).

Mehrere Untersuchungen haben dennoch ergeben, dass die Pestizidexposition von Beschäftigten in der Landwirtschaft und Pestizidausbringern in einem statistischen Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für eine Erkrankung an Parkinson steht (Van Maele-­Fabry et al. 2012). Van der Mark et al. (2012) überprüften 46 Studien auf den Zusammenhang zwischen Pestiziden und der Parkinson­Krankheit und kamen zu dem Schluss, dass summarische Risikoabschätzungen stark darauf hindeuten, dass das Risiko, an Parkinson zu erkranken, durch die Exposition gegenüber Pestiziden steigt, insbesondere wenn es sich um Herbizide oder Insektizide handelt.

Chlorpyrifos­ und Insektizide haben möglicherweise einen stärkeren Einfluss auf die Entwicklung der Parkinson­Krankheit, doch wie beim Nachweis des Zusammenhangs zwischen Exposition und Krebs ist es auch hier schwierig, eine definitive Kausalbe­ziehung aufzustellen (Elbaz et al. 2009; Freire und Koifman 2012). Bei einer im Norden Indiens an­ sässigen Bevölkerungsgruppe wurden überdurch­ schnittlich hohe Werte von β­HCH und Dieldrin im Blut nachgewiesen, die mit einem erhöhten Parkinson-­Risiko in Zusammenhang standen (Chhillar et al. 2013).

Eine Untersuchung in einem landwirtschaftlichen Gebiet Kaliforniens ergab ebenfalls, dass die Exposition gegenüber OPP infolge des Lebens oder des Arbeitens in der Region mit einem er­ höhten Risiko für eine Erkrankung an Parkinson in Zusammenhang stand (Wang et al. 2014).
Für alle 26 in dieser Studie bewerteten OPP liess sich ein Zusammenhang mit einem erhöhten Parkinson­-Erkrankungsrisiko herstellen. Pezzoli und Cereda (2013) wiesen darauf hin, dass eine berufsbedingte Exposition gegenüber dem Herbizid Paraquat ebenfalls mit einem doppelt so hohen Parkinson­Erkrankungsrisiko verbunden ist; diese Substanz ist zwar inzwischen in den USA und in Europa verboten. In vielen anderen Ländern der Welt ist sie jedoch nach wie vor zur Verwendung zugelassen.

GENETISCHE DISPOSITION UND PARKINSON-KRANKHEIT

Wie auch im Zusammenhang mit Krebs haben Populationsstudien ergeben, dass Menschen mit bestimmten Genvarianten, die bei der Aufspal­ tung von Pestiziden im Körper eine Rolle spielen, insofern empfindlicher sind, als sie ein grösseres Risiko tragen, infolge einer Exposition gegenüber Pestiziden an Parkinson zu erkranken. Diese Gen­varianten kommen in der menschlichen Bevölkerung häufig vor.

Fong et al. (2007) berichteten, dass Landwirte in Südwesttaiwan, die eine Variante zweier bestimmter Gene (MnSOD und NQO1) besitzen, im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko für eine Erkrankung an Parkinson haben. Menschen mit diesen Genvarianten produzieren fehlerhafte Enzyme, was möglicherweise das Risiko für eine Schädigung von Hirngewebe steigert und zu einer erhöhten Disposition zur Erkrankung an Parkinson führt. Bei diesen Menschen ist das Risiko, an Parkinson zu erkranken, im Vergleich zu Menschen mit normalen Genen auf das 2,4­-fache erhöht. Bei Landwirten mit einer bestimmten Variante beider Gene war das Parkinson­Erkrankungsrisiko auf das Vierfache erhöht.

Ein weiteres Enzym, Paraoxonase­1, das durch das Gen PON1 kodiert wird, spielt bei der Entgiftung von Organophosphat­Pestiziden im Körper eine Schlüsselrolle (Manthripragada et al. 2010). Menschen mit bestimmten Varianten des PON1­ Gens kommen in der Allgemeinbevölkerung häufig vor. Bei diesen Menschen ist die Entgiftung von organischen Phosphorsäureestern weniger effizient. Wieder wiesen Menschen, die eine bestimmte Variante beider Gene besassen und in einem land­wirtschaftlichen Gebiet in Kalifornien lebten und arbeiteten, die höchste Wahrscheinlichkeit auf, an Parkinson zu erkranken (2,8­ bis 3,5­-fache Wahrscheinlichkeit im Vergleich zu Menschen mit normalen Genen, die ausserhalb dieser Region lebten und keinen Pestiziden ausgesetzt waren) (Lee et al. 2013b).

Varianten der GSTP-­Gene (insbesondere GSTP­1) können auch Proteine produzieren, die, anstatt bestimmte Pestizide zu entgiften, die Toxizität des Substrats noch erhöhen und einen giftigeren Metaboliten bilden, der das Potenzial hat, das Gehirn noch mehr zu schädigen. In diesen Fällen weisen Menschen mit bestimmten GSTP­1-­Varianten auch eine erhöhte Disposition für Parkinson auf (Menegon et al. 1998).

PESTIZIDE IM HAUSHALT UND PARKINSON-KRANKHEIT

Ebenso wie der beruflich bedingte Einsatz von Pestiziden bedeutet auch ihre Verwendung in Haushalt und Garten, dass Menschen infolge ihrer Exposition anfälliger für die Parkinson­Krankheit sein können. Narayan et al. (2013) fanden heraus, dass der Einsatz von Pestiziden in den Haushalten der US-­amerikanischen Bevölkerung, insbesondere von OPP, mit einer um 70 bis 100 Prozent erhöhten Wahrscheinlichkeit, an Parkinson zu erkranken, in Zusammenhang steht. Wieder trugen Menschen, die eine bestimmte Variante des PON1­Gens aufwiesen und häufig Organophosphat­-Pestizide im Haushalt einsetzten, ein 2,6­ bis 3,7-­faches Risiko, an Parkinson zu erkranken.

Quelle: https://www.weltagrarbericht.de/fileadmin/files/weltagrarbericht/Weltagrarbericht/03Gesundheit/2015GreenpeacePestizide.pdf

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