Die Karriere des Darmmikrobioms

[…] Das Darm­mikrobiom, früher bekannt als Darmflora, hat in den letzten Jahren in der Wissenschaft eine steile Karriere hingelegt. In ­unserem Darm leben Viren, Pilze und andere Mikroorganismen. Vor allem aber: Bakterien. Eine erste Ladung davon kriegt der Mensch bei der Geburt von der Mutter mit. In den nächsten Jahren formt sich langsam ein vollständiges Mikrobiom. Hierbei gilt: je vielfältiger die Bakterien, desto besser.

Die etwa anderthalb Kilogramm Mikroorganismen, die wir im Darm mit uns rumtragen, sind für unsere Gesundheit extrem wichtig. Sie helfen bei der Verdauung und unterstützen das Immunsystem. Inzwischen gilt es zudem als sehr wahrscheinlich, dass die Mikroorganismen über die sogenannte Darm-Hirn-Achse auch unsere Psyche beeinflussen. Im Februar [2019] erst kam eine belgische Untersuchung von Stuhlproben depressiver Menschen zu dem Ergebnis, dass bei den Teilnehmer*innen zwei Bakterienarten deutlich seltener vorkamen als bei gesunden Personen. Ob es sich bei dieser Korrelation um eine Ursache oder Folgeerscheinung der Krankheit handelt, wissen die Forscher*innen nicht.

Unser Stuhl fördert praktischerweise Teile des Mikrobioms zutage. Neben Wasser und Nahrungsmittelresten enthält er auch Stoffwechselprodukte, die womöglich ebenfalls für eine erfolgreiche Stuhltransplantation nötig sind. Die Idee hinter der Therapie ist simpel: In ein aus der Balance geratenes Darmmikrobiom wird Spenderstuhl, der ein gesundes Mikrobiom enthält, übertragen, um die gewünschte Bakterienvielfalt wieder herzustellen. Ein Reset für den Darm.

Fäkale Mikrobiota-Transplantationen (FMT) werden bereits in etwa 35 Kliniken in Deutschland durchgeführt. Als Behandlungsmethode wird FMT fast ausschließlich bei Clostridium-difficile-Infektionen eingesetzt. Nur bei dieser Erkrankung liegt bereits eine Reihe überzeugender Daten zum Nutzen von Stuhltransplantationen vor. Etwa 2.000 bis 3.000 schwere Fälle der Durchfallerkrankung werden hierzulande jährlich gemeldet. Sie tritt hauptsächlich nach Antibiotikabehandlungen in Krankenhäusern auf. Infizieren sich Patient*innen mit dem Bakterium, etwa von der Hand in den Mund, kann es sich im Darm gegen die angeschlagene Bakterien-Konkurrenz durchsetzen. Betroffene leiden unter starken Durchfällen und Bauchschmerzen, sie verlassen oft das Haus nicht mehr. Die Entzündung im Darm kann im schlimmsten Fall zum Tod führen. Therapiert wird die Infektion mit mehr Antibiotika. Etwa 25 Prozent der Erkrankten können so nicht geheilt werden.

Maria Vehreschild ist die Leiterin der AG Klinische Mikrobiomforschung am Uni­klinikum Köln und führt dort seit 2014 Stuhltransplantationen durch. Viele Betroffene und auch Ärzt*innen würden FMT noch nicht kennen und erst bei der Internet­recherche darauf stoßen. „Die meisten Patienten haben schon mindestens ein halbes Jahr erfolglos Antibiotika eingenommen, bevor sie zu uns finden.“ Nachdem sie fremden Stuhl übertragen bekommen haben, sind etwa 80 Prozent von ihnen in wenigen Tagen wieder gesund.

Den vollständigen Artikel „Heilende Scheiße“ von Rebecca Stegmann in der taz vom 20.04.2019 finden Sie hier:

https://www.taz.de/!5587293/

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