Am Anfang: der Darm

Interview von Anouk Bercht mit Aletta Kraneveld, Professorin für Pharmakologie an der niederländischen Universität Utrecht. Immer mehr Studien deuten darauf hin, dass das sogenannte Mikrobiom im Darm für unsere Gesundheit eine Rolle spielt. Die Forschung dazu steckt allerdings noch in den Kinderschuhen.

Die Wissenschaftlerin Aletta Kraneveld ist Jahrgang 1964, studierte Pharmazie an der Universität Amsterdam sowie der Universität Utrecht und promovierte 1994. Nach einem Forschungsprojekt an der Harvard Medical School in Boston kehrte sie zurück an die Universität Utrecht und ist dort seit 2002 Professorin für Pharmakologie am Institute for Risk Assessment Studies. Sie untersucht das Zusammenspiel von Darm, Immunsystem und Gehirn unter anderem bei Patienten mit Parkinson, Autismus, Nahrungsmittelallergien und chronischen entzündlichen Darmerkrankungen.

Um psychische Störungen zu verstehen, untersuchen Wissenschaftler heute mehr als nur das Gehirn. Warum ist jetzt der Darm an der Reihe?

Die Idee ist nicht neu. Der Mediziner James Parkinson, der die gleichnamige Krankheit als Erster beschrieb, bemerkte schon 1871, dass seine Patienten auch an Darmbeschwerden wie Verstopfungen und Bauchschmerzen litten. Dennoch konzentrierte sich die Wissenschaft damals allein auf das Gehirn. Das Immunsystem, das uns vor Krankheitserregern beschützt, befindet sich aber überall im Körper. Wenn solche Erreger mit dem Essen oder über die Hände in unserem Mund landen, dann spielt der Darm bei der Abwehr eine wichtige Rolle. Würde man ihn entfalten und seine Oberfläche ausmessen, dann hätte er die größte Fläche aller menschlichen Organe. Die Wissenschaft widmet sich jedoch erst seit ungefähr zehn Jahren wirklich der Kommunikation zwischen Darm und Gehirn.

Wie kann man überhaupt untersuchen, auf welchen Wegen Gehirn und Darm miteinander kommunizieren?

Das ist schwierig. Oft greift man auf Ratten und Mäuse zurück, um zu untersuchen, was sich bei Menschen mit einer psychischen Störung im Darm und im Gehirn abspielt. Der irische Forscher John Cryan verpflanzt dazu den Stuhlgang von Menschen, die beispielsweise unter Depressionen leiden, in den Darm von Ratten – eine sogenannte Fäkaltransplantation. Auf diese Weise erhalten die Ratten ein ähnliches Darmmikrobiom wie depressive Menschen. Es beinhaltet alle Bakterien, Schimmelpilze, Viren und andere Einzeller, die den Darm eines Menschen besiedeln; einige davon sind gutartig, andere krankheitserregend. Ratten, denen der Stuhl depressiver Menschen eingeschleust wurde, zeigten daraufhin depressionsähnliches Verhalten. Eine solche Stuhltransplantation ist aber nur der erste Schritt. Darüber hinaus untersuchen Forscher zum Beispiel einen bestimmten Entzündungsstoff im Blut oder einen Rezeptor (ein Zellprotein, das die Andockstelle für die Kommunikation zwischen Zellen bildet, Anm. d. Red.). So entfernten wir in Versuchstieren, die an Parkinson erkrankt waren, den sogenannten Toll-like-Rezeptor 4, der eine wichtige Rolle bei der Aktivierung des angeborenen Immunsystems spielt. Die Tiere entwickelten danach seltener Darmentzündungen und litten auch weniger an den für Parkinson typischen motorischen Problemen.

Bisher scheint unklar zu sein, wie genau die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn abläuft. Welche Wege wären hierbei denkbar?

Sie könnten zum einen über den Vagusnerv kommunizieren, den zehnten Hirnnerv. Diese große Nervenbahn läuft vom Magen-Darm-Trakt zum Hirnstamm. Ich bin jedoch kein großer Fan dieser Hypothese. Denn diese Nervenbahn steht nicht mit dem gesamten Dickdarm in direkter Verbindung. Dort befinden sich aber die meisten Bakterien. Um die Hypothese zu überprüfen, könnten wir den Vagusnerv bei Versuchstieren durchtrennen und untersuchen, was daraufhin in jenen Hirnarealen passiert, die wir mit bestimmten Störungen in Verbindung bringen. Zum anderen könnte die Kommunikation auch über die Blutzirkulation verlaufen. Ich vermute, eine Veränderung der Darmflora schlägt sich in der Aktivität des Immunsystems nieder. Ein aktiviertes Abwehrsystem sorgt dann dafür, dass sich vermehrt Zytokine – Proteine, die eine wichtige Rolle bei Entzündungsreaktionen spielen – im Blut anreichern. Diese gelangen vielleicht auch ins Gehirn, wo sie biologische Prozesse an den Synapsen, den Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen, beeinflussen könnten. Nur ist es noch schwer vorstellbar, wie die Zytokine die Blut-Hirn-Schranke durchdringen sollen.

Was weiß man bisher darüber, wie Parkinson mit dem Darm zusammenhängt?

Die Darmflora von Parkinsonpatienten unterscheidet sich von der gesunder Menschen: Das Gleichgewicht zwischen guten Bakterien und jenen, die Entzündungen verursachen, ist bei ihnen gestört. Hinzu kommt, dass Menschen, die an Parkinson erkrankt sind, oft eine durchlässigere Darmschleimhaut haben. Dadurch können Krankheitserreger leichter eindringen und eine Darmentzündung verursachen. Bakterien und andere Entzündungsstoffe gelangen so wiederum eher ins Blut und in das Gehirn. Bei Parkinsonpatienten kommt es auch im Gehirn zu entzündlichen Prozessen; das Alpha-Synuklein-Eiweiß häuft sich dann in den Nervenzellen zu so genannten Lewy-Körpern an. In der Folge sterben bestimmte Nervenzellen ab, die Dopamin herstellen, so dass ein Dopaminmangel im Gehirn entsteht. Dieser führt zu den motorischen Symptomen der Krankheit: Muskelzittern, stockende Bewegungen und instabile Körperhaltung. Wenn wir Parkinson-Mäuse auf eine Diät mit gesunden Fetten und Ballaststoffen setzen, von denen wir wissen, dass sich gutartige Bakterien von ihnen ernähren, bewegen sich die Nagetiere daraufhin besser.

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Wo läuft zuerst etwas schief: im Gehirn oder im Darm?

Im Darm. Unserer Vermutung nach steht am Anfang einer Erkrankung wie Parkinson eine genetische Veranlagung. Die Betroffenen haben also ein erhöhtes Risiko zu erkranken. Dazu kommen ungünstige Lebensumstände wie Stress, Luftverschmutzung oder eine ungesunde Ernährung. Sie können die Darmflora stören und dafür sorgen, dass genetisch vorbelastete Menschen tatsächlich krank werden. Eine ungesunde Ernährung ist ein Garant für ungesunde Darmbakterien. Gesunde Kost hingegen kann die Symptome verringern, aber das müssen die Patienten langfristig durchhalten, sonst kommen die krank machenden Bakterien wieder zurück.

Mit welcher Ernährung hält man den Darm gesund?

Hören Sie auf mit Pizza und anderem Fast-food, ernähren Sie sich ausgewogener. Essen Sie frische Lebensmittel, verbannen Sie Fertiggerichte vom Speiseplan. Zu viel gesättigte Fettsäuren führen zu Entzündungen: Im Fettgewebe von Menschen mit Übergewicht etwa befinden sich viel mehr Entzündungsstoffe als im Fettgewebe gesunder Menschen. Wir sind noch immer Urmenschen, daran gewöhnt, alle Energie, die wir kriegen, für schlechte Zeiten zu speichern. Außerdem ist es wichtig, nicht zu viel zu essen und sich mehr zu bewegen.

 

Das vollständige Interview von Anouk Bercht mit Aletta Kraneveld, Professorin für Pharmakologie an der niederländischen Universität Utrecht, finden Sie in SPEKTRUM PSYCHOLOGIE Heft 2/2018 (Juni/Juli)

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